Blau-Türkis bleibt möglich

Die ÖVP verfolgt mit ihrer Absage an eine Zusammenarbeit mit der FPÖ vor allem taktische Ziele. Die Entscheidung wird erst ab dem Wahltag fallen.

von Politische Analyse - Blau-Türkis bleibt möglich © Bild: Privat

ANALYSE

Vieles spricht gegen eine blau-türkise Koalition nach der Nationalratswahl im September: Von Bundeskanzler Karl Nehammer abwärts haben praktisch alle Minister und Spitzenfunktionäre der ÖVP eine Zusammenarbeit mit Herbert Kickl ausgeschlossen. Kickl wird jedoch kaum weichen oder aus den eigenen Reihen dazu gedrängt werden: Er ist Obmann der FPÖ und dabei, diese erstmals in der Geschichte auf Platz eins zu führen. Sprich: Die Partei wird es wohl nur mit ihm geben.

Gegen Blau-Türkis spricht außerdem, dass Nehammer und Co. dazu übergehen, ihre Vorbehalte auf Freiheitliche insgesamt auszuweiten. Es geht um deren Verhältnis zu Wladimir Putins Russland. Das ist im Übrigen etwas, was im Lichte des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch international wahrgenommen wird und bei einem Bündnis mit der FPÖ zu berücksichtigen wäre. Im schlimmsten Fall würde man Probleme mit westlichen Staaten bekommen. Wie damals im Jahr 2000, als es zu Schwarz-Blau kam und die übrigen EU-Länder beschlossen, bilaterale Kontakte mit Österreich deswegen auszusetzen.

Erledigt ist das Kapitel Blau-Türkis damit aber noch nicht. Zumal der ÖVP-Kurs gegenüber der FPÖ im Allgemeinen und Kickl im Besonderen zunächst eben taktisch motiviert ist. Ziel ist es, Wähler davon abzuhalten, die Freiheitlichen zu unterstützen. Sie sollen zur Überzeugung gelangen, dass das eine verlorene Stimme wäre.

Was nach der Wahl kommt, steht in den Sternen. Im Durchschnitt der Umfragen hält die ÖVP nur noch 19,6 Prozent. Sollte sie wirklich von 37,5 auf weniger als 20 Prozent abstürzen und dabei nicht nur hinter die FPÖ, sondern auch hinter die SPÖ zurückfallen, ist Nehammer mit seinem Team schwer angeschlagen, und die Zeichen stehen auf personelle Veränderungen. Wichtiger: Gefestigt ist die Absage an Blau-Türkis in der ÖVP nicht. Es gibt Teile, für die die FPÖ das kleinere Übel ist als "die linke Andreas Babler-SPÖ". Insbesondere Türkise im Geiste von Sebastian Kurz oder Wolfgang Schüssel ticken so. Sie haben nicht einmal mit einer moderateren Vor-Babler-SPÖ gekonnt.

Bei einem ÖVP-Absturz bei der Nationalratswahl wird diese Tendenz zur FPÖ kaum verschwinden. Die Erfahrung spricht für das Gegenteil: Starke Stimmenverluste an Freiheitliche haben die Volkspartei zuletzt in Niederösterreich und Salzburg erst recht dazu bewogen, ein Bündnis mit diesen einzugehen. Kalkül: So sollte eine Politik möglich sein, nach der sich die Wähler offenbar sehnen. So sollte man diese am ehesten zurückgewinnen können.

BERICHT

Babler und Doskozil finden nicht zusammen

SPÖ-Chef Andreas Babler und der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) finden nicht zusammen. Ist Babler im Burgenland, ist Doskozil entschuldigt, und auch auf dem kleinen Bundesparteitag, der jüngst im niederösterreichischen Wieselburg stattgefunden hat, konnte Babler einen prominenten Genossen nicht begrüßen: Doskozil.

Dieser beteuert stets, dass für ihn das Kapitel Bundespolitik ein für alle Mal erledigt sei, nachdem er Babler bei einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz vor bald einem Jahr unterlag. Ganz traut man ihm jedoch nicht in Wien. Bezeichnend: Dort geht gerade das Gerücht um, dass er für Herbst ein programmatisches Buch zum Thema "Regieren mit Hausverstand" plane. In Eisenstadt wird das auf Anfrage entschieden zurückgewiesen: "Ein derartiges Projekt ist uns nicht bekannt."

Für Babler wäre es wichtig, wenn schon zu keinem freundschaftlichen, dann zumindest zu einem professionellen Verhältnis mit Doskozil zu finden. Im Hinblick auf die EU- und die Nationalratswahl braucht er vom Boden- bis zum Neusiedlersee Funktionäre, die für die SPÖ und damit letzten Endes auch für ihn rennen, rennen und noch einmal rennen. Zumindest für die burgenländischen Genossen ist dabei relevant, was ihnen von Doskozil signalisiert wird.

Für diesen rückt freilich mehr und mehr ein eigener Urnengang in den Vordergrund: die Landtagswahl, die er im kommenden Jahr zu schlagen hat. Es geht darum, die absolute Mandatsmehrheit seiner Partei zu verteidigen. Es wäre eine Genugtuung für ihn, wenn er dies schaffen würde: Er könnte all jenen, die ihn im Juni 2023 als Bundesvorsitzenden abgelehnt haben, zeigen, was er kann, ja ihnen gewissermaßen vermitteln, was möglich gewesen wäre, wenn sie nicht Babler, sondern ihm den Vorzug gegeben hätten.

ZAHL

"Burger-Gate" bleibt an Nehammer hängen

Gezielte Inszenierung und der Versuch, Berichterstattung durch "Message Control" zu steuern, ist das eine. Was die Leute interessiert, das andere. Kaum jemand weiß das besser als der Bundeskanzler, ÖVP-Chef Karl Nehammer. Seit einem Jahr bemüht er sich, Themen zu setzen, von "Normalität" bis "Leitkultur". Zwischendurch hat er unter dem Titel "Österreich-Plan" inhaltliche Vorstellungen für die Zukunft präsentiert und eine Rede dazu gehalten. Tagelang hatte er dazu Medien mit Einzelheiten versorgen lassen und es auch geschafft, Schlagzeilen zu machen. Der Erfolg hielt sich jedoch in Grenzen: Die ÖVP ist in Umfragen nicht abgehoben, der Zuspruch für Nehammer hat nicht zugenommen.

Kein Wunder: Wirklich bewegt hat er mit etwas ganz anderem: mit Aussagen, die durch ein Video im September einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. Vor Anhängern hatte er Armut relativiert und darauf hingewiesen, dass Eltern ihre Kinder zu McDonald’s schicken könnten, dort koste ein Hamburger kaum etwas.

Dafür wurde Karl Nehammer nicht nur kritisiert, sondern fünf Mal öfter gegoogelt als für seinen "Österreich-Plan". Das zeigt eine Auswertung von Suchanfragen, die indexiert ausgewiesen werden. Sie bringen zum Ausdruck, was die Leute bewegt. Nichts und niemand aus der Innenpolitik hat das in den vergangenen Monaten auch nur annähernd so stark getan wie der Kanzler mit dem "Burger-Gate". Dafür gab es den Spitzenwert von 100. Selbst Andreas Babler blieb bei seiner holprigen Kür zum SPÖ-Vorsitzenden mit einem Wert von 77 darunter, und auch Herbert Kickl (FPÖ) kam nie auch nur in die Nähe davon. Allerdings: Kickl wird in der Regel, also quasi an normalen Tagen, eher gegoogelt als Nehammer und Babler, aber auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger.

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Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at